Schwalenberger Rathaus
Bezeichnet man Schwalenberg als "Kleinstadt-Juwel" im Lippischen Südosten, so ist einer der Diamanten das Rathaus. Es gibt nur wenige Bauten, im Westfälischen, die in den Schmuckformen mit diesem Rathaus verglichen werden können.
Stehen wir vor dem Gebäude, so zeigt sich in der Mitte mit breitem
Giebel zur Straße der älteste Teil des
Gebäudes von 1579. Die drei
Fachwerkbogen im Erdgeschoß waren einst der Zugang zu einer offenen
Halle, die gleichzeitig als Markt und Gerichtsstelle diente. Dieses
sagen von der Gestaltung her bereits die Tauwerkmuster, die diese
drei Bogen einrahmen. Das Tauwerkmotivkommt aus dem germanischen
Recht.
Bereits die alten Thing - Stätten waren Stätten des Friedens, wenn
sie mit einem Tau umgürtet waren. Innerhalb dieser Stätten durfte
niemand Waffen tragen und galt Markt- und Gerichtsfriede.
Interessant ist, wielange sich dieser Brauch nun als Hausschmuckform
weitergetragen hat. Darüber sind zwei Geschosse aufgebaut. Im ersten
Geschoß ein großer Saal .
Die reich geschmückten Brüstungen verweisen von der
Kunstrichtung her auf die Übergangszeit von der Gotik zur
Renaissance. Auffallend sind in der oberen Brüstung sowie in der
Brüstung des 1. Stockes die vielen verschiedenartigen Formen von
Fächerrosetten, umgeben gleichfalls von Tauwerkmustern. Sie sind als
Sonnensymbole einzuordnen.
Der gesamte Haustyp ist noch gotisch angelegt, d. h., die einzelnen
Geschosse springen immer etwas vor dem unteren Geschoß vor. Zwischen
den eingekerbten Balkenköpfen an den Unterseiten .der
Brüstungen liegen Füllhölzer mit abgerundetem Querschnitt, die in
der ganzen Länge mit verschiedenen flechtband-, rombischen oder
ährenförmig gegliederten Mustern verziert sind, die wieder Abarten
des Tauwerkmusters sind. Diese Übergangsformen könnte man einem,
gewissen Manirismus zuschreiben, der immer in Übergangsperioden von
einer Kunstform zur anderen, auftritt. Die durchgehenden
Schwellbalken des Hauses sind mit Sprüchen versehen, die in der
ergänzten Form folgendermaßen lauten:
Balken über den Fenstern:
MINSCHE GEDENKE WAT DV BETENGEST DEN LIEK VND RECHT WARET LENGST
WERSTV AS SCHELM VND SCHENNER VNRECHT HANDELN SO MOSTV THOM LESTEN
IN DE HELLE WANDERN
Mensch bedenke, was du bedeutest, denn Geradheit und Recht dauern am
längsten. Wirst du als Schelm und Schinder unrecht handeln, so mußt
du, zum Schluß in die Hölle wandern.
Balken unter den Fenstern:
VOL THO
SIN
EGEN VORDELRAIDT IN HAS BI ALLEN KOMT VND TREIBT VERSTORETHAIT.
Wer zu seinem eigenen Vorteil rät, kommt bei allen in Haß und treibt
Verstocktheit.
WOL GEBRVKET
BOS GEWICHT STRAFT GOT AM JVNGSTEN GERICHT
Wer gebrauchet falsch Gewicht, straft Gott am jüngsten Gericht.
Bei dem ersten Spruch wollte man sicherlich die Ratsherren an ihre
Redlichkeit ermahnen, während der zweite Spruch bestimmt auf die
Kaufleute in der Markthalle gemünzt war.
Auf dem
mächtigen Balken unter dem Wappen im Brüstungsfeld:
WEN GODT MIT UNS WOLL KAN DEN WEDDER UNS
PAULUS ROMANUS AM
8
CAP
Wenn Gott mit uns, wer kann dann gegen uns! Paulus Römerbrief 8.
Kap.
Die interessantesten Darstellungen sind die auf den drei mittleren
Feldern in der Brüstung des 1. Stockwerkes. Zwischen der Jahreszahl
ANNO 1597 sehen wir in einer Wappenzier drei Wappenschilde: Links
die Lippische Rose als Symbol für die anteilige Herrschaft der
Grafen und Edelherren zur Lippe, die 1358 vertraglich geregelt
wurde. Rechts im Wappen das Paderborner Kreuz mit vier Kugeln, die
möglicherweise für "die vier Seulen und Edle Meyer des Thurnkapitul:
Stapel, Brenken, Krewet und Haxthausen" stehen. Darunter der Stern
der ehemaligen Grafen von Schwalenberg. Ober dem ANNO sehen wir die
Schwalbe, das Wappen Volkwins IV, des Gründers Schwalenbergs, Bei
den Verträgen 1358 wird der Schwalenberger Stern in das Lippische
Wappen übernommen und die Schwalbe auf den Stern gesetzt.
Das mittlere Brüstungsfeld wird symmetrisch von Darstellungen
flankiert, die auf wissenschaftliche Privilegien hinweisen, die der
kleinen Stadt zugebilligt wurden.
Links die Justitia mit Schwert und Waage, dargestellt durch den
Erzengel Michael, darüber die Inschrift
- JVSTITIA
DIGERIT OMNIA - , die
Gerechtigkeit ordnet alles
weist einmal mehr darauf hin, daß in der Stadt Gericht abgehalten
werden durfte und die Rechtsprechung privilegiert war.
Eingerahmt wird die Justitia von zwei Toren, je nach Urteilsspruch
wird die Seele in das Höllentor oder in die Paradiespforte
eingewiesen.
Das rechte Feld zeigt einen gekrönten Löwen im Kampf mit einem
flammenspeienden Drachen, von,
einem Baum getrennt. Bei
diesem Baum handelt es sich' um den Lebensbaum mit den Früchten, die
die Seelen oder die Menschen dieser Zeit darstellen sollen. Der
Lebensbaum war eine beliebte Darstellung des hohen Mittelalters für
die Erde. Um diesen kämpfen der gekrönte Löwe als, Symbol für
Christus und der Drache als Symbol für den Satan. Hier_soll aber
wohl, auf das alte
Apothekenrecht hingewiesen werden. Die alchemistische Darstellung
stellt symbolisch den Löwen und den Greif, den Drachen, für die
philosophischen Elemente Schwefel und Quecksilber, deren Vereinigung
zum Stein des Weisen oder zur Quintessenz führen sollte, die hier
unter Christlichem Einfluß als Paradiesbaum dargestellt wurde. Die
Anzahl der Früchte läßt jedoch erkennen, daß der Paradiesbaum hier
zum Baum der Alchemie umfunktioniert wurde, denn die sieben Früchte
stehen für die damals bekannten Planeten:
Sonne und Mond als große Früchte, Saturn, Venus Jupiter und Merkur
als kleine Früchte, entsprechend der Perspektiven damaliger Zeit.
1603 wurde dem Rathaus auf der linken Seite ein Anbau hinzugefügt,
dem alten Bau hervorragend angepaßt. Dieser zeigt aber in den
Brüstungen nun typisches Schmuckwerk der Renaissance, das stark
religiöse Beeinflussung aus der christlichen, germanischen und sogar
der ägyptischen Mythologie zeigt.
Im Mittelfeld über der Jahreszahl ANNO 1603 ein Kreuz als
Erlösungssymbol, umschlungen von einer Schlange. Die Schlange galt
jahrhundertelang im Altertum und Mittelalter als ewig lebendes Tier.
Man glaubte, sie würde nach der Häutung neu geboren. Man setzte
dieses Ewigkeitsymbol wieder für Christus. Die beiden Felder daneben
zeigen mit den Lilienmotiven auf eine starke Marienverehrung. Schon
im Altertum galt die Lilie als Symbol für die Unschuld, Reinheit
und Jungfräulichkeit. Betont wird dies noch durch das Blattwerk der
Lilien, das in Fantasieköpfen ausläuft. Ähnliche Darstellungen waren
bereits in der ägyptischen Mythologie für den Isiskult üblich.
Betont wird dies noch durch die Darstellung im rechten Feld, wo man
die umlaufenden Fantasieköpfe der Pflanzen mit Halbmonden
gleichsetzen kann. Die Mondsichel war immer ein Zeichen für eine
Muttergottheit. Im oberen Feld eine Wiederholung des Motivs aus der
Brüstung der 1. Etage. Daneben die Lippische Rose einmal den Stern
umschlingend durch einen verdrehten Ring, dem mathematischen Zeichen
für „Unendlich", zwei Schlangenwesen, die sich selbst in den Schwanz
beißen und damit die Ewigkeit symbolisieren, das „Unendliche".
Eine ähnliche Darstellung befindet sich an der Südseite neben den
Rosettenmotiven. Hier springen zwei fischähnliche Wesen aus einem
Ring, aus der Ewigkeit, der Unendlichkeit. Die fischähnlichen Wesen
erinnern an den Fisch als Christussymbol. Auffallend an diesem
Anbau ist, daß die Füllungen zwischen den vorspringenden
Geschoßteilen nicht mehr mit Tauwerkmustern gefüllt sind, sondern
mit sog. Zahnschnittmustern, einer typischen
Renaissance-Schmuckform. interessant die Betonung des Eckpfeilers,
dem ein Lebensbaum eingeschnitten ist. Die Säule ist gleichfalls in
der mittelalterlichen Symbolik ein Sinnbild für die Erde, dem
Lebensbaum vergleichbar. Der Giebel wird hier von der Lippischen
Rose geziert. Besonders erwähnenswert sind die Dämonenköpfe, die
einmal an der Ecke des Anbaues von 1603 zu sehen sind und zum
anderen im Schnitzwerk des Lebensbaumes in dem Eckpfeiler. Nach dem
Glauben unserer Vorfahren im Mittelalter fuhren die bösen Geister
aus dem Haus, wenn nach dem Bau ein Priester das Haus eingesegnet
hatte. Diese Dämonenköpfe sollten zusätzlich das Böse vom Hause
abschrecken.
Ende des 30 jährigen Krieges wurde die offene Markthalle
geschlossen. Die „Rosenschänke" wurde aus der jetzigen
Brauergildestraße dann nach hier verlegt und wurde dann zum heutigen
„Ratskeller". Im vorigen Jahrhundert entstand dann der rückwärtige
Anbau und wurde zur Wohnung des „Kellerwirtes".
Anfang dieses Jahrhunderts wurde dann das Rathaus zu klein. Der
neben dem Rathaus liegende Thomashof wurde erworben und abgerissen.
Hier wurde dann der rechte Flügel des Rathauses 1905 — 1908 nach
Entwürfen des Architekten Dauber aus Nürnberg und des Baurates Meyer
aus Detmold errichtet. Er wurde in Bauart und Holzarchitektur dem
alten Teil des Rathauses hervorragend angepaßt. Links des
„Rathausbogens" ist das Lippische Wappen, die Rose, rechts das
Schwalenberger Wappen, der Stern mit der Schwalbe zu sehen. Ober dem
Bogen die „Germania", Sinnbild des 1871 politisch geeinten Deutschen
Reiches. In der rechten Hand hält sie die Kaiserkrone, in der
linken den Schild mit dem Deutschen Adler. Rechts des Bogens die
Inschrift:
DVRCH FVERSTENHULD ZVR STADT GEMACHT HALT BVERGERTREVE GVTE WACHT
erinnert an die 1906 vom Fürsten Leopold wieder neu verliehenen
Stadtrechte an Schwalenberg.
Im Obergeschoß befindet sich der Rathaussaal, an seinen Wänden
Bilder von Friedrich Eicke. Sie zeigen das Leben in der
Aderbürgerstadt Schwalenberg etwa um die Jahrhundertwende.
Links, im sog. „Alten Saal" an den Wänden ein kurzer Rückblick auf
die Schwalenberger Geschichte, von grauer Vorzeit bis zur 750
jahrfeier Schwalenbergs 1981. (Zusammengestellt durch Herrn.
Niederbracht jun.). Im sog. „Bürgermeisterzimmer" finden wir ein
wertvolles, altes Bild aus dem 18. Jahrhundert von E. T. Höfflinger:
Gründung des Klosters Marienmünster durch Graf Widukind von
Schwalenberg 1128.
Ein weiteres Bild von Robert Kämmerer hat auch schon historischen
Wert. Es zeigt uns den alten Schwalenberger Marktplatz mit den 1945
zerstörten Ackerbürgerhäusern aus dem 17. Jahrhundert.
Die Wappen aller Schwalenberger Adelsgeschlechter, Bürgermeister,
Apotheker, den Stammbaum der Schwalenberger Grafen sowie die
Portraits der Maler, die Schwalenberg den Ruf der Malerstadt
brachten, sehen wir in der alten „Ratsstube". Die
Gemäldeausstellungen in der Galerie im Rathaus runden dann die
Bildersprache des Schwalenberger Rathauses ab bis auf den heutigen
Tag.
Verkehrsverein SCHWALENBERG